Loveactivism. Die Wut verwandeln.

Loveactivism. Die Wut verwandeln.

Nachdem ich ein Interview mit Emilia Roig gehört habe, welches mich sehr inspiriert hat, ist mir eines sehr klar geworden: Um die Zukunft zu erschaffen, die wir wollen, müssen wir diese Zukunft in jedem Augenblick des Jetzt bereits versuchen zu leben. Welche Zukunft sehe ich? Eine in der Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Frieden herrschen. Eine, in der wir ein Miteinander leben, unseren Nachbarn mögen und alle neuen Nachbarn herzlich willkommen heißen, uns gegenseitig unterstützen und wertschätzen. Ein Leben, wo das wir und gemeinsam größer ist als das ich und allein. Eine, in der wir Menschen nicht kategorisieren müssen und alle, die die Würde der anderen achten, einfach sein dürfen. Eine, in der man einfach alles sein kann, was man sich wünscht, ohne abgestempelt und verurteilt zu werden, weil es nicht den Normen entspricht. In diesem Zuge habe ich mich mit mir auseinandergesetzt. Und bemerkt, dass es da ja einige Punkte gibt, in denen ich weit weg bin von dieser lichtvolllen Zukunft und eher im Dunklen tappe. Und in diesem Prozess, bin ich auf meine Wut gestoßen. Wut gegen Einschränkungen, dagegen, in meinen Motiven nicht verstanden zu werden, gegen die Dominanz von Männern, gegen eine Politik, die ausgrenzt und gegen die Menschen, die hauptsächlich auf ihre eigene Gemütlichkeit bedacht sind, statt sich gegen Unrecht aufzulehnen und die nicht verstehen, dass sie selbst aufbegehren müssen. In dieser Zukunft, die ich für uns möchte, haben wir Empathie, hören einander zu – und  ;versuchen, das Gute im anderen zu sehen, statt so schnell nach irgendwelchen Kriterien abzuurteilen: Ob nach Herkunft, nach Aussehen, nach Geschlecht – oder, wie in dem Fall, den ich jetzt beschreibe – nach dem Tragen einer Uniform.
 
Ein paar Tage nach dieser Erkenntnis  bin ich auf die Probe gestellt worden. Ich war auf einer Demo für ein freies Palästina, gegen die wahnsinnige Bombardierung durch die isralischen Regierung des Gazastreifens - dort gab es ein großes Aufgebot an Polizei. Insgesamt war die Stimmung angespannt. Die Demonstrierenden friedlich, die Polizei aggressiv – sie wirkte genervt. In ihren schwarzen Uniformen, vermummt in ihre Helme, strahlten sie so oder so schon schwierige Vibes aus.
 
Ich stehe da also in meinem bunten Outfit, gucke mir das Geschehen an und rufe „Free Palestine“,  als einer der Polizisten direkt auf mich zu geht und mich des Platzes verweist. Natürlich ist der Sinn einer Demonstration, nicht gleich zu gehen, wenn es einem gesagt wird, weil man ja ein Statement setzen will. Also sagte ich, dass ich noch ein bisschen bleibe werde. Das gefiel dem Polizisten nicht, er wurde mir gegenüber lauter und schob mich nicht gerade sanft an und sagte, dass ich verschwinde solle, sonst gäbe es konsequenzen. Mein erster Impuls war zurück zu pöbeln. Aber dann erinnerete ich mich an mein Vorhaben, bremste mich und startete dann meinen Versuch des „loveactivism“, also, meine Wut zu verwandeln, und Verständnis für den  “Gegner” zu entwickeln.  Dann habe ich den Polizisten ganz ruhig und mit ernst gemeinten Interesse angeschaut und gefragt, was eigentlich gerade wirklich sein Problem sei und dass ich doch nur hier stehe völlig ungefährlich, um für eine bessere Welt einzustehen, wie die allermeisten, die hier demonstrieren.” Ich sagte, dass das, was da momentan läuft, nicht gut sei und nicht aufgehe und er mir doch nicht erzählen könne, dass er das nicht auch irgendwie spüre.
Er fing tatsächlich an zu sprechen. Warum er  genervt von uns ist, warum ihm manchmal einfach die Hutschnur platzt, dass er seinen Job gut machen will und mit Eintritt bei der Polizei unterschrieben hat, für Recht und Ordnung zu sorgen. In diesem Moment konnte ich tatsächlich Verständnis für ihn und seine Situation aufbringen. Habe ihn als Mensch in diesem System Polizei gesehen und gespürt, dass er persönlich keine negativen Motive hat. Es veränderte sich etwas in unserem Kontakt, es tat sich ein Raum zwischen uns auf und ich hatte die Möglichkeit ihm auch meine Seite aufzuzeigen. Ich sagte, dass ich nicht hier sei, um ihn zu provozieren, aber dass ich es unendlich wichtig fände, diese Ungerechtigkeit, diese Katastrophe, die gerade im Gaza passiert, aufzuzeigen und nicht  einfach passiv hinzunehmen, zuhause, vom Sofa aus. Ich würde da vor ihm stehen, weil ich mir für uns alle eine bessere, gerechtere Zukunft wünsche. Er hörte zu. Zum Abschied streckte er mir seine Hand entgegen.
 
Mir hat diese Situation gezeigt, dass wir, obwohl wir uns eigentlich als Gegner gegenüber standen, für einen kurzen Moment auf der menschlichen Ebene verbunden waren. Und auf dieser Ebene, wollen wir einander nichts schlechtes.

Eure Sophie 

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